Dairy Maid Diary

Sommer 2022

Rohmilchkäse

Simplon, Schweiz

Sommer 2021

Ziegenkäse

Ziegenalp Malschüel, Schweiz

Sommer 2020

Kuhkäse

Alpkäserei Höhi-Voralp, Schweiz

SOMMER 2022

Alp am Simplon

1917 m. über dem Meer

Wallis, Schweiz

Der war nichts für Milchmädchen, dieser Start in den Almsommer. Eine Käserei in Schuss bringen, die zwei Jahre lang nicht in Betrieb war (und die aufgrund ihres Zustands auch nur so weit in Schuss zu bringen ist). Es hat weder Heißwasser noch Handschuhe, und ich, ich stelle mich nicht hin und sage nee, ich leg hier erst los, wenn zumindest das funktioniert, ich steh artig mitm Wasserkocher in der Käserei, schrubbe mich blöd und verzweifel innerlich leise vor mich hin. Dazu eine Wohnsituation, die wenig heimelig war. Auch: eine Woche lang kein Kaffee! Dann, Arbeitsprozesse, vor denen ich als Ungelernte immer noch riesigen Respekt habe, die selbst erarbeitet werden mussten, und das mit tonnenschwerer Milchverantwortung von süßem Braunvieh im Nacken. Unterschwellig großes Vermissen von allem, was der letzte Almsommer war, und Vorwürfe, dass ich mich falsch entschieden haben könnte. Sorge, dass ich das hier einfach durchdrücken, runterspulen, hinter mich bringen werden müsse, traurig darüber werden, natürlich.

ABER: ich schiebe mich dann halt doch immer wieder unnachgiebig durch Phasen der Härte und der Schwere. Gebe nicht so schnell auf, bleibe dran, mute mir zu, schwinge die Peitsche, suche das Zuckerbrot, weil, ich glaub halt einfach daran, an die Träume dieses Lebens.

Et voilá – jetzt bin ich angekommen, und das wirklich w i r k l i c h gut. Habe mich eingefunden, bin eingespielt (lustig, dieses Gewohnheitstier das man ist), bin da, lebe einen neuen Almsommer. Genieße ihn schon jetzt so sehr, dass ich ihn gerne bremsen möchte, aufhalten, ein paar Tropfen Lab über die Landschaft sprenkeln, auf dass zumindest dieser eine, unwiederbringliche Sommertag gerinnen möge wie Käse, es riecht nach Lärchen und die Nachmittagssonne kitzelt die Kühe in den buschigen Ohren. Ach, ich habe Euch so viel zu erzählen von hier, auf mir sitzen schon die Schmetterlinge.

Ich habe meinen Sommerwohnsitz bezogen, und freue mich, meine temporäre Anschrift bekanntzugeben. Sie lautet: am Myzelien-Riff.

Wenig zögerlich um 4.30 aus dieser einen komischen Situation springen, oder dem Auto, oder der Hollywoodschaukel, den Wasserkocher blindlings einschalten, kaltes Wasser ins Gesicht, die Beine in die schwarzen Leggings und drüber das weiße T-Shirt, neuerdings auch den Pulli, immer in die Gummistiefel, mit dem Schwarzteedampf im Taschenlampenlichtstrahl über die feucht glitzernde Wiese in den Käsekeller stolpern, Licht an, blinzelnd einen heißen Schluck, und los, aus dem überrumpelten Moment heraus setze ich mich immer wieder neu zusammen, während ich die Laibe wecke, zärtlicher als mich.

Ich:

Guten Morgen! Gut geschlafen?"


Sepp:

Super! Ich hab die ganze Nacht nix gesehn!"

Zwischen gefalteten Meeresböden verlaufen sich meine Nachmittage, und ich mich zwischen den Büschln trockenen Farns, verblühter Alpenrosen, verdorrter Heidelbeeren, wühle mich mit meinen nackten Beinen durch sie hindurch, ich mag es, wenn die Welt an meiner Haut kratzt, fühle mich dann mehr wie das Cowgirl, das ich gar nicht bin. Vorne treibt dieser Findling aus der Eiszeit, an ihm lehne ich, an uns lehnt die Sonne, alles durchsengt diese Ruhe mit ihrer Gravitas aus Millionen, ein Vogel garniert uns, viele Federn fallen mir zu, vielleicht ist es ein Exerzitium. Gleich rutscht das Licht von oben nach unten, und ich laufe mit gespreizten Fingern zur Almkäserei hinab, jemand muss ja - die Abendmilch annehmen.

Das ist Emma. Seit 40 Jahren ist sie im Sommer mit Sepp auf der Alm (der kam zum ersten Mal vor 75 Jahren hier hoch, musste damals aber außer Bäuerchen noch nicht viel machen).

Wenn mein Besuch abreist, winkt Emma von hinten mit den Armen und ruft „Du häsch jo imma no mi!“. Emma sprinted in ihren Clogs die Almhänge hinauf und hinunter, um Zaunpfähle in die Erde zu rammen oder die Bewässerungssprinkler umzustellen. Emma reicht mir abends Betthupferl in Form von Caramelpudding durchs Fenster und hält die Jakobskapelle in Schuß. Emma fährt jeden Monatsersten chic aufs Postamt, um alle Einzahlungen zu tätigen, und sie schleppt Milchkannen vom Stall in die Sennerei. Emma hat ein goldenes Herz und einen großen Schalk im Nacken - wenn sie nach der ersten Käseverkostung mit ausdruckslosem Gesicht meint „jooo ,geht a so“, seh ich den nicht immer gleich.

Manchmal hockten wir abends kurz vorm Stall rum. Manche Menschen mag man einfach.

Fotos © Lia Sáile

SOMMER 2021

Ziegenalp Malschüel

1500-1700 m. über dem Meer

Alvierkette, St. Gallen, Schweiz

Ich spring ja öfters in die kalte Milch. Die Schwimmflügel sicherheitshalber aufgeblasen mit Glaube und Hoffnung. An einen Ort zu fahren, an dem man noch nie war, um dort eine Arbeit zu tun, die man noch nie alleine tat, und das gemeinsam mit Menschen, die man nicht kennt – ehrlich? Das ist nicht wirklich ein schönes Gefühl. Da kann man das Kinn des Abenteurergeistes noch so forsch in die unbekannte Welt hinaus recken. Die stramme Haltung verhindert nicht das innere Zittern . Aber, ich hab mir das vorgenommen, und ich mach das jetzt auch: einen Sommer auf einer Ziegenalp.

Da sind wir also. 2 Hirten (Jakob & Mathis), 1 Hilfe (Elisa), 330 Ziegen (Namensliste zum Download folgt), 2 Hütehunde (Djinn & Lachs), 25 Molkeschweine (ich nenn sie alle Björn, mit ihren weißen Wimpern sind sie so schwedisch). Außerdem: gefühlte 100.000.000 Liter Regen und doppelt so viel Nebel. Ich brauch ja nicht zu reden, ich steh in der Käserei, das Holz prasselt im Dampfkessel, die Fenster sind mit Wärme beschlagen. Aber die anderen! Den Elementen Wasser, Luft und Erde ausgesetzt. Ich habe ein schlechtes Gewissen und heize zumindest schon mal in der Küche ein. Abends machen wir uns Gedanken darüber, ob Milch von tropfenden Ziegen eigentlich verwässert ist. Ich bin übrigens 1 Käserin.

Gipfelruh zwischen

dem Glockengeläut.

6:21 Guten Morgen Marlene. Wir lassen jetzt die Milch runter.

„In ein paar Wochen machst Du das hier mit geschlossenen Augen.“ Jeden Tag um die 500 Liter Ziegenmilch in 25 Laibe Halbhartkäse verwandeln. Manchmal auch in Frischkäse und Joghurt. Holz aus dem Schuppen holen. Zuerst 25, zum Schluss 2700 Käselaibe täglich mit Salzwasser gebürstet haben. 40.000 Kilo Käse umgewandelt in gestählte Oberarm-Muskulatur. Kuchen backen und die Wäsche in die Sonne hängen. Mit Hunden kuscheln und zwischen Nachbarskälbern im Frauenmantel liegen. Immer mal wieder zum Stall hochlaufen um zu melken. Znachtessen kochen. Den Schlaf der Gerechten unter funkelnden und auch herabfallenden Sternen.

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Nasse Stoiker unterm Regenbogen melken.

Ziege Nr. 211 stürzt 20 Meter in die Tiefe, schlägt auf, steht auf, schüttelt sich, läuft weiter. Am nächsten Tag fehlt sie abends beim Melken, am Tag drauf auch. Die Hirten gehen sie am Chrummenstein suchen. Nichts. Vielleicht also doch innere Verletzungen und zum sterben weggegangen. Dann: eines Nachmittags spaziert sie seelenruhig den Wanderweg runter. Drängt sich beim Melken in die 1. Runde vor, holt sich ihr Kraftfutter und gibt brav Milch. Vielleicht war es nur eine Gehirnerschütterung, die sie glauben machte eine Gams zu sein, ein paar Tagen oben mit ihnen tolpatschig über die Steinfelder springend, jetzt wieder in ihrer Identität als Ziege tätig. Ihr Name ist Perla.

Ich träume von an Felswand herablaufendem Joghurt und habe großes Vertrauen, dass alles immer so kommt wies passt und so passt wies kommt.

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Kaum schreibe ich nicht, vertrockne ich wie Käse, und das ist beides das schlimmste was passieren kann.


Die Wimpern der Schweine so weißblond, dass sie mich an Schweden erinnern. Ich nenne also jedes einzelne Björn.

Man könnte meinen, der Ziegenkäse aus diesem nebelig nassen Alpsommer sei verwässert, unterkühlt, ungeduldig. Aber – das Gegenteil ist der Fall! An schlechten Tagen mühsam erarbeitete Milch sorgsam verarbeitet, an guten Tag: Ekstase in der Sonne und die gesamte Essenz des Alpsommers gebündelt in einer einzigen Freude, einer zarten Almblume gleich, mild wie die Cremefarben der sonnengebleichten Toggenburger Ziegen.

Mit Schnappatmung klettere ich auf den Grat zwischen Gärtliegg und Chrummenstein (2259m). Jakob verwechselt mich aus der Ferne mit einer ausgebüchsten Ziege.

Fotos © Cornelia Hefel

Ich wandere mal hier hin und mal dahin, lasse mich überall gleich gern zwischen Alpenrosen, Farn, Thymian, Knabenkraut, Silbermäntel plumpsen, und, da fällt mir ein, warum mir das immer alles so gut gefällt, weil, es ist alles der Meeresboden.

SOMMER 2020

Alpsennerei Höhi-Voralp

1200 m. über dem Meer

Voralpsee, St. Gallen, Schweiz

Ich stellte mir das so lässig vor. Eine Alpsennerei, ein Käseladen, eine Milchbar. Gegenüber ein Parkplatz, von dem Wanderer zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Gegend hinunter schreiten: zum Voralpsee. Außerdem schreiten sie in unseren Laden. Von morgens bis abends verkaufen wir Käse, Joghurt, Rivella, Kafi Luz, Käsetoast. Wir arbeiten in der Käserei und im Käsekeller. Wir zersprageln uns in diesem Almsommer, der kein Sommer in den Bergen ist, sondern ein Sommer in einem Haus in den Bergen. Die Milch wird täglich von den schönsten Alpen ringsum vorgefahren. Sie ist köstlich, und der Käse auch. Ich lerne das Handwerk des Käsens. Ich höre viele Hörbücher im Käsekeller. Ich bin nicht für 112 Tage Kundengespräche gemacht. Ich habe mir das alles ein bißchen lässiger vorgestellt.

Jeden Morgen und jeden Abend rollt ein Sonnenschein heran. Am Anhänger der Tank mit der sorgsam gewonnen Alpmilch des Tages. Am Lenkrad die Hirtin Isabel. Wir trinken Kaffi und witzeln, es ist schön mit ihr. Ansonsten bin ich für den Rest des Tages eindeutig von zu vielen Männern in zu stark karierten Hemden umgeben.


Einmal lasse ich um 5:20 morgens die Alpsennerei hinter mir und spaziere zum Voralpsee hinunter. Das fühlt sich absurd an, aber es gefällt mir trotzdem. Weiße Schwaden hängen über dem stillen Wasser und die Sonne kratzt über den Kamm. Ich ziehe die Schuhe aus, das Wasser ist schneekalt. Ach.

Der Tag zieht

ins Licht.

Ich sehe den Voralpsee

vor lauter Käse nicht.

Sie schmirgelte so vorsichtig am Leben entlang, dass nur Ahnungen von Spänen flogen. Denn lieber hielt sie den feineren Stoff des Lebens in Händen, der seidig über die Haut glitt, und das Licht war Pastell wenn sie träumte. Und sie träumte so lange bis sie gähnte, und sie eines Morgens im Schwarzteedampf die Lust überfiel, sich doch mal an der Materie zu versuchen. Bis Funken sprühten weil der Draht zwischen ihr und der Welt so glimmend und singend, und angepackt das Leben und die Holzbretter und Käselaibe und Hühenerpopos. Auch dicke Schiefer bohrten sich unter ihre Haut und scharfe Späne flogen um ihr nacktes Herz, doch sie cremte ihre Hände einfach weiter mit Mandeln ein und wollte ihn nicht loslassen, diesen Traum.

Bärbel, Katharina, Karamathschong, Franziska und Gertude sitzen zu jeder Tageszeit gerne am vom Verkehrsverein Grabs gestifteten Bankerl. Sie sind unsere Hühner. Oder soll ich sagen: Hühnerlis?

Fotos © Lia Sáile