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SOMMER 2023
Ziegenalp Malschüel
1500-1700 m. über dem Meer
Alvierkette, St. Gallen, Schweiz
Wie geht das gleich nochmal mit dieser Komfortzone? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich mich seit dem Sommer 2020 eigentlich ständig außerhalb befinde. Das ist aufregend, intensiv und lebendig. Und anstregend. Und deswegen gönne ich mir jetzt zur Abwechslung mal eine Rückkehr zu etwas Vertrautem: ein Almsommer auf der Ziegenalp Malschüel in Sankt Gallen. Hier habe ich schon vor zwei Jahren einen erfreulichen Sommer verbracht, und hier möchte ich mich diesen Sommer zwischen bekannten Berggipfeli und vertrauten Arbeitsstrukturen einbetten.
Kurz feixten zwar Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft an diesem schon einmal Lebenskapitel geschrieben habenden Ort frech im seltsamen Kreis um mich herum, aber nach nur 2x Schlafen ward ich in meiner Gegenwärtigkeit auf den Almmatten unterhalb des Alviers (2343m) angekommen.
Werde hier gehalten von den Bergrücken links und rechts, vom täglichen Rhyhtmus des Käsemachens, von dem Wirbelwind den die Milch beim Einlaufen ins Kesi macht, von der Bachstelze beim Frühstückstisch, vom Glöckchengeläut der 344 Ziegen und vom abendlichen Ave Marie das Rinderhirten. Ich steige nicht in Schwimmflossen, sondern in Gummistiefel und tauche ab in den langen ruhigen Fluß von gefühlt unendlich sich aneinander reihenden Almsommertagen. Die Alpenrosen fangen vorsichtig an zu blühen. Hey ho, let’s go.
Heute morgen Milch überstellt und Frühstück in der Küche. Wegen Ekelvorstellung von Schluckbeschwerden leider wieder kein Porridge. Das Wetter der letzten Nacht performt das Leben der letzten Tage. Erst grummelt und donnert es stundenlang, dann blitzt es unaufhörlich, und dann haut es auch noch dickes sowie gefrorenes Wasser hinterher. Seltsam, wie mild die Luft bleibt. Und wie morgens hinten am Himmel oben zwar noch schwer Dunkelgraues liegt, aber sich die Sonne vorne durch ein Leichtes schmiegt. Und die Mauersegler, die tanzen da auch.
Liebe Ziege tust Du jetzt bitte auch noch dieses Blattl hier aufessen weil es sind nunmal die unterschiedlichen ätherischen Öle aus den Almwiesenkräutern, die in Form von chemischen Verbindungen einen großen Einfluss auf Geruch und Geschmack der Milch und damit auch den Almkäse haben ich danke Dir.
Der Dunst steht mir ins Gesicht geschrieben, während der Regen den Wasserfall sprengt und der Käse in seinen Laib rauscht. Die Rinder stehen an der Reling und betrachten mich beim Holz holen, nachts träume ich von Kindern, die in den Futtertrögen der Schweine Salto springen, und mich danach stolz und mit Molke benetzt anlachen. Während die Schweine lautlos in den Wasserstrahl hinein schmunzeln, mit dem ich sie in der Vormittagssonne brause, tropft mein privates Herz heimlich das Auto der Hirtschaft voll. Es ist ein weißer Transit, in dem ich sitze, während draußen der Farn vorbei rauscht, und auch das drinnen bald durch mich hindurch gezogen sein wird, so wie der Sommer über die Berge und die Ziegen über die Alm. Ach: Almsommerleben, Du wildes Ding!
Meine besonderen Kennzeichen sind:
über Almwiesen laufe ich lieber mit einem Käse im Arm, das Herz schreibe ich mir von der Seele, ewig und drei Tage lang vermag ich glücklich glucksend täglich Ziegenkäse zu essen, meine Müdigkeit lasse ich vom Spätsommerlicht umfangen, meinen nackten Rücken lehne ich an den mehr und mehr beigen Bergrücken hinter mir und flüstere Hold me tight, will you, du bittersüßlich gen Ende gleitender Almsommer.
Fotos: Lia Eliàs
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Frühjahr 2023
Finca Tamadaya
550 m. über dem Meer
Arico, Teneriffa
Wenn ich genau so gut mit einer orangenen Katze namens Orange in der Küche einer Finca sitzen kann, während im Garten Orangen von den Sträuchern plumpsen, warum sollte ich dann mit schwarz gekleideten Stadtmenschen an naßgeregneten Häuserwänden vorbeilaufen?
Während außerdem Zitronen vom Baum stürzen, sitzt die Katze weiterhin tatsächlich nur herum und rührt nicht eine Samtpfote, während die von der Städterin nur schwerlich gemolkene Ziegenmilch nun von Hand weiter verarbeitet werden sollte.
Wofür diese wiederum auch nur herum sitzen bleiben kann, weil, wie man das auf althergebrachte teneriffsche Art macht, muss der Mittelgroßgrundbesitzer dem frisch eingeflogenen, käseweißen Gesinde aus dem Norden erst noch lehren.
Die Katze rührt keine Samtpfote
die Orangen plumpsen auf die Insel
der Ozean schwappt an ihre Ränder
Der wollte einst eigentlich nicht vordergründig Käse machen, sondern nur vom Germanischen ins Italienische wechseln. Aber, wie das Leben halt so spielt, strandete er schließlich auf Teneriffa, wo er vor 12 Jahren die Finca Tamadaya zu seinem Eigen machte.
Diese liegt auf 550Meter Seehöhe, direkt an einem Barranco, also, einer der vielen Schluchten, die die gesamte Insel furchenartig vom Inselinneren her, also dem Teide-Vulkan (3.715m, wtf?!) durchziehen. Mit Blick auf das Meer und die Nachbarinsel Gran Canaria werden dort nach den Prinzipien der Permakultur und Kreislauf-wirtschaft Bio-Gemüse angebaut, eine bunte Hühnerschar gehalten sowie eine unterschiedlich große Ziegenherde.
Und wie das Leben halt immer so weiter vor sich hinspielt, landete ich zu Jahresbeginn für zwei Monate auch dort, um eben nicht schon wieder mit schwarz gekleideten Stadtmenschen an naßgeregneten Häuserwänden vorbeizulaufen.
Aus Winternächten gekitzelt werden
möchte ich von einer Sonne die sich
gerade aus dem Meer gewühlt hat
Sondern um von Sonnenlicht geweckt zu werden, das sich frisch aus dem Meer hervor gewühlt hat. Um verschlafen in meine Gummistiefel zu schlüpfen, den nicht weniger verschlafenen Hunden kurz die Wangen zu tätscheln, eine erst aufgeregt knatterende, bald zufrieden gurrende Hühnerschar mit Frühstück zu beglücken, auf der Suche nach Raupen dicke Morgentauperlen von Brokkoli, Pak Choi, etc. kullern zu lassen, etwas mehr Milch als gestern aus den Ziegeneutern heraus zu bekommen, den Tieren sodann feinste Wildkräutermischungen aus dem Garten heraus zu sicheln, und das Unkraut noch zu jäten, bevor es über mich hinauswächst.
Dann trage ich frische Eier und Milch in die
Küche hoch, wo in der Espressokanne
schon Kaffee vor sich hin brodelt.
¡Buenos días, do bin i!
Manchmal muss man echt nicht viel machen. Manchmal reicht es auch einfach, etwas in Händen zu halten, es ein bißchen fest zu halten, beim Fenster raus-, in die Berge reinzuschaun, einzuatmen, auszuatmen. Das ergibt: 1 feinen Ziegenkäse nach traditionell kanarischer Art.
Die Milch dafür kommt von der Capra Tinerfeña. No habla español, aber, das geht grad noch so: Ziege von und zu Teneriffa. Die einheimische Rasse der Insel, die es in Variante Nord und Süd gibt – die Tiere von der feuchten Inselnordseite haben längeres, die von der trockenen Südseite kürzeres Haar. Äh, Fell. Und Ziegenbarthaar.
Eine bunte Mischung davon tummelt sich auf der Finca Tamadaya, wo sie auf Tuffstein unter der Sonne oder in upgecycleten Shabby Chic Unterkünften dösen. Ihre kulinarische Versorgung besteht aus täglich frisch geschnittenem Futter von Gebüschen, Kräutern etc., die innerhalb der Finca in paradiesischem Übermut wuchern (Wermut, Klee, Luzernen-Kreuzung, etc.) - zumindest solange die sommerlichen Temperaturen nicht alles in ein bräunliches, trockenes Geraschelverwandelt haben. Ist die Herde größer, wird sie morgens zur Selbstbedienung in den Barranco geführt.
Die Ziegenmilch wollte der Mittelgroßgrundbesitzer jedenfalls auf traditionelle, kanarische Art verarbeiten. Auf Bauernmärkten fragte er sich durch, wo er das denn lernen könnten, aber niemand wollte den eingewanderten Deutschen nachhause einladen, um ihm die lokale Herstellungstechnik zu zeigen - das war den alteingesessenen Kanaren dann doch zu privat. Bis ihn eines Tages jemand an Nicomedes verwies, einen alten Ziegenhalter und Bauern - der zwar sehr streng und ernst sei, aber bei dem er sein Käseglück ja versuchen könnte.
Und so kam es, dass er einige Monate bei dem damals 75-jährigen Nicomedes die Ziegen ein wenig durch die Gegend scheuchen durfte und ansonsten vor allem eins tat: zuschauen.
Ohne großer Worte ließ ihn Nicomedes durch zurückhaltende Beobachtung die Herstellung seines Queso frescos (Frischkäse, auch: Queso blanco) kennenlernen. Nach einigen Wochen Stillschweigens durfte er schließlich auch Hand anlegen. Und herausfinden, dass der strenge alte Ziegenbauer durchaus zu dem einen oder anderen Witzchen aufgelegt war.
Die euterwarme Milch wird jedenfalls gleich mit Lab versetzt,
also nicht wie sonst üblich vorab gesäuert. Die für unsere Geschmacksknospen leicht wahrnehmbare Säuerung passiert erst langsam im fertigen Käse aufgrund der in der Milch natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien.
Und dann, dann ist nix mit mit dem üblichen Prozedere von ausrühren, nachwärmen, weiterrühren, trocken rühren etc etc – dann wird der Käse einfach nur still gehalten. Also, relativ: die Bruchmasse wird sachte gedrückt, und unter leichtem Druck (dessen Richtigkeit sich nur durchs Tun ins Gefühl kriegen lässt) für ungefähr 10 Minuten immer wieder vorsichtig weiterbewegt und gepresst. So wächst die Käsemasse noch in der Molke langsam zusammen und wird dabei immer kompakter.
Wenn sie weder zu weich noch bereits zu fest ist, wird sie in die Käseform gehievt, und dort für etwa 10 Minuten gepresst. Was wiederum ohneviel Hauruck, sondern zärtlich durch reines Handrückseitenauflegen passiert. Nach mehrmaligem Wenden wird der Queso fresco schließlich noch mit kanarischem Meersalz eingerieben und für 24 Stunden gekühlt.
Am nächsten Tag kommt der frische Käse aus der Form und bezirzte mich als solcher stets mit seinem hübschen Streifenmuster: eine Referenz an die Palmenblätter, aus denen die Käseformen früher gemacht waren Und dann bezirzt er auch schon gleich im Mund: als ganz feiner, frischer, zarter, milchig Ziegenkäse mit einer kompakten Struktur und wenig Säure.
Aus der Molke wird noch frischester Ricotta hergestellt. Damit kann man eine Ziegenricotta-Quiche machen, man kann an die Pasta und Tomaten noch Ricottasauce tun, man kann den Ricotta aufs selbstgebackene Brot streichen, man kann ihn anbraten und in den frisch geernteten Salat tun, aber, kurze Zwischenfrage, wieviel Ricotta kann man eigentlich essen?
Naja du wirst dir halt den ganzen Sand bis ins Bett rein tragen, aber, ich wackle fröhlich mit den Zehen und denke nur ¡Dios mío! das soll doch so, während das Meer ahnungslos an schroffe Ränder klatscht, ich mich unaufhörlich ins Wasser tunke, Ziegen zwischen Ohrwascheln von Kakteen hindurch mähen und ich unbekümmert in Salzwasser gekochte Kartoffeln in rote und grüne Saucen tauche.
Auch trinke ich viel zu viel schwarzen Kaffee und plundere alles mit süßen Blätterteig voll, es gibt hier Palmenhonig und Küstenhonig. Auch gut ist, dass ich 178cm bin und mich also weder im Sukkulenten- noch im Kakteenwald verlaufen kann. Meine Beine haben schon die Farbe gebrannter Erde, ich schmiere weiße Creme über all das Terracotta und laufe weiter über die Insel.
Manchmal frage ich mich schon, wieviel Sonne man am Herzen haben, wieviel Licht man ertragen kann, und ob ich mich wie Streuobst wirklich immer wieder so dem Neuen aussetzen muss, und dann gebe ich mir eine Antwort, von wegen dass die Überreizung ihren Reiz hat und die Gemütlichkeit ja auch nirgendwohin führt. Hinter der letzten Kurve liegt jetzt also ein Winter im Süden, ach, eigentlich war es ganz einfach, man muss einfach machen, einfach immer nur machen. Und jetzt also weiter im Text.
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SOMMER 2022
Alp am Simplon
1917 m. über dem Meer
Wallis, Schweiz
Der war nichts für Milchmädchen, dieser Start in den Almsommer. Eine Käserei in Schuss bringen, die zwei Jahre lang nicht in Betrieb war (und die aufgrund ihres Zustands auch nur so weit in Schuss zu bringen ist). Es hat weder Heißwasser noch Handschuhe, und ich, ich stelle mich nicht hin und sage nee, ich leg hier erst los, wenn zumindest das funktioniert, ich steh artig mitm Wasserkocher in der Käserei, schrubbe mich blöd und verzweifel innerlich leise vor mich hin. Dazu eine Wohnsituation, die wenig heimelig war. Auch: eine Woche lang kein Kaffee! Dann, Arbeitsprozesse, vor denen ich als Ungelernte immer noch riesigen Respekt habe, die selbst erarbeitet werden mussten, und das mit tonnenschwerer Milchverantwortung von süßem Braunvieh im Nacken. Unterschwellig großes Vermissen von allem, was der letzte Almsommer war, und Vorwürfe, dass ich mich falsch entschieden haben könnte. Sorge, dass ich das hier einfach durchdrücken, runterspulen, hinter mich bringen werden müsse, traurig darüber werden, natürlich.
ABER: ich schiebe mich dann halt doch immer wieder unnachgiebig durch Phasen der Härte und der Schwere. Gebe nicht so schnell auf, bleibe dran, mute mir zu, schwinge die Peitsche, suche das Zuckerbrot, weil, ich glaub halt einfach daran, an die Träume dieses Lebens.
Et voilá – jetzt bin ich angekommen, und das wirklich w i r k l i c h gut. Habe mich eingefunden, bin eingespielt (lustig, dieses Gewohnheitstier das man ist), bin da, lebe einen neuen Almsommer. Genieße ihn schon jetzt so sehr, dass ich ihn gerne bremsen möchte, aufhalten, ein paar Tropfen Lab über die Landschaft sprenkeln, auf dass zumindest dieser eine, unwiederbringliche Sommertag gerinnen möge wie Käse, es riecht nach Lärchen und die Nachmittagssonne kitzelt die Kühe in den buschigen Ohren. Ach, ich habe Euch so viel zu erzählen von hier, auf mir sitzen schon die Schmetterlinge.
Ich habe meinen Sommerwohnsitz bezogen, und freue mich, meine temporäre Anschrift bekanntzugeben. Sie lautet: am Myzelien-Riff.
Wenig zögerlich um 4.30 aus dieser einen komischen Situation springen, oder dem Auto, oder der Hollywoodschaukel, den Wasserkocher blindlings einschalten, kaltes Wasser ins Gesicht, die Beine in die schwarzen Leggings und drüber das weiße T-Shirt, neuerdings auch den Pulli, immer in die Gummistiefel, mit dem Schwarzteedampf im Taschenlampenlichtstrahl über die feucht glitzernde Wiese in den Käsekeller stolpern, Licht an, blinzelnd einen heißen Schluck, und los, aus dem überrumpelten Moment heraus setze ich mich immer wieder neu zusammen, während ich die Laibe wecke, zärtlicher als mich.
Ich:
„Guten Morgen! Gut geschlafen?"
Sepp:
„Super! Ich hab die ganze Nacht nix gesehn!"
Zwischen gefalteten Meeresböden verlaufen sich meine Nachmittage, und ich mich zwischen den Büschln trockenen Farns, verblühter Alpenrosen, verdorrter Heidelbeeren, wühle mich mit meinen nackten Beinen durch sie hindurch, ich mag es, wenn die Welt an meiner Haut kratzt, fühle mich dann mehr wie das Cowgirl, das ich gar nicht bin. Vorne treibt dieser Findling aus der Eiszeit, an ihm lehne ich, an uns lehnt die Sonne, alles durchsengt diese Ruhe mit ihrer Gravitas aus Millionen, ein Vogel garniert uns, viele Federn fallen mir zu, vielleicht ist es ein Exerzitium. Gleich rutscht das Licht von oben nach unten, und ich laufe mit gespreizten Fingern zur Almkäserei hinab, jemand muss ja - die Abendmilch annehmen.
Das ist Emma. Seit 40 Jahren ist sie im Sommer mit Sepp auf der Alm (der kam zum ersten Mal vor 75 Jahren hier hoch, musste damals aber außer Bäuerchen noch nicht viel machen).
Wenn mein Besuch abreist, winkt Emma von hinten mit den Armen und ruft „Du häsch jo imma no mi!“. Emma sprinted in ihren Clogs die Almhänge hinauf und hinunter, um Zaunpfähle in die Erde zu rammen oder die Bewässerungssprinkler umzustellen. Emma reicht mir abends Betthupferl in Form von Caramelpudding durchs Fenster und hält die Jakobskapelle in Schuß. Emma fährt jeden Monatsersten chic aufs Postamt, um alle Einzahlungen zu tätigen, und sie schleppt Milchkannen vom Stall in die Sennerei. Emma hat ein goldenes Herz und einen großen Schalk im Nacken - wenn sie nach der ersten Käseverkostung mit ausdruckslosem Gesicht meint „jooo ,geht a so“, seh ich den nicht immer gleich.
Manchmal hockten wir abends kurz vorm Stall rum. Manche Menschen mag man einfach.
Fotos © Lia Sáile
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SOMMER 2021
Ziegenalp Malschüel
1500-1700 m. über dem Meer
Alvierkette, St. Gallen, Schweiz
Ich spring ja öfters in die kalte Milch. Die Schwimmflügel sicherheitshalber aufgeblasen mit Glaube und Hoffnung. An einen Ort zu fahren, an dem man noch nie war, um dort eine Arbeit zu tun, die man noch nie alleine tat, und das gemeinsam mit Menschen, die man nicht kennt – ehrlich? Das ist nicht wirklich ein schönes Gefühl. Da kann man das Kinn des Abenteurergeistes noch so forsch in die unbekannte Welt hinaus recken. Die stramme Haltung verhindert nicht das innere Zittern . Aber, ich hab mir das vorgenommen, und ich mach das jetzt auch: einen Sommer auf einer Ziegenalp.
Da sind wir also. 2 Hirten (Jakob & Mathis), 1 Hilfe (Elisa), 330 Ziegen (Namensliste zum Download folgt), 2 Hütehunde (Djinn & Lachs), 25 Molkeschweine (ich nenn sie alle Björn, mit ihren weißen Wimpern sind sie so schwedisch). Außerdem: gefühlte 100.000.000 Liter Regen und doppelt so viel Nebel. Ich brauch ja nicht zu reden, ich steh in der Käserei, das Holz prasselt im Dampfkessel, die Fenster sind mit Wärme beschlagen. Aber die anderen! Den Elementen Wasser, Luft und Erde ausgesetzt. Ich habe ein schlechtes Gewissen und heize zumindest schon mal in der Küche ein. Abends machen wir uns Gedanken darüber, ob Milch von tropfenden Ziegen eigentlich verwässert ist. Ich bin übrigens 1 Käserin.
„In ein paar Wochen machst Du das hier mit geschlossenen Augen.“ Jeden Tag um die 500 Liter Ziegenmilch in 25 Laibe Halbhartkäse verwandeln. Manchmal auch in Frischkäse und Joghurt. Holz aus dem Schuppen holen. Zuerst 25, zum Schluss 2700 Käselaibe täglich mit Salzwasser gebürstet haben. 40.000 Kilo Käse umgewandelt in gestählte Oberarm-Muskulatur. Kuchen backen und die Wäsche in die Sonne hängen. Mit Hunden kuscheln und zwischen Nachbarskälbern im Frauenmantel liegen. Immer mal wieder zum Stall hochlaufen um zu melken. Znachtessen kochen. Den Schlaf der Gerechten unter funkelnden und auch herabfallenden Sternen.
Nasse Stoiker unterm Regenbogen melken.
Ziege Nr. 211 stürzt 20 Meter in die Tiefe, schlägt auf, steht auf, schüttelt sich, läuft weiter. Am nächsten Tag fehlt sie abends beim Melken, am Tag drauf auch. Die Hirten gehen sie am Chrummenstein suchen. Nichts. Vielleicht also doch innere Verletzungen und zum sterben weggegangen. Dann: eines Nachmittags spaziert sie seelenruhig den Wanderweg runter. Drängt sich beim Melken in die 1. Runde vor, holt sich ihr Kraftfutter und gibt brav Milch. Vielleicht war es nur eine Gehirnerschütterung, die sie glauben machte eine Gams zu sein, ein paar Tagen oben mit ihnen tolpatschig über die Steinfelder springend, jetzt wieder in ihrer Identität als Ziege tätig. Ihr Name ist Perla.
Ich träume von an Felswand herablaufendem Joghurt und habe großes Vertrauen, dass alles immer so kommt wies passt und so passt wies kommt.
Kaum schreibe ich nicht, vertrockne ich wie Käse, und das ist beides das schlimmste was passieren kann.
Die Wimpern der Schweine so weißblond, dass sie mich an Schweden erinnern. Ich nenne also jedes einzelne Björn.
Man könnte meinen, der Ziegenkäse aus diesem nebelig nassen Alpsommer sei verwässert, unterkühlt, ungeduldig. Aber – das Gegenteil ist der Fall! An schlechten Tagen mühsam erarbeitete Milch sorgsam verarbeitet, an guten Tag: Ekstase in der Sonne und die gesamte Essenz des Alpsommers gebündelt in einer einzigen Freude, einer zarten Almblume gleich, mild wie die Cremefarben der sonnengebleichten Toggenburger Ziegen.
Mit Schnappatmung klettere ich auf den Grat zwischen Gärtliegg und Chrummenstein (2259m). Jakob verwechselt mich aus der Ferne mit einer ausgebüchsten Ziege.
Fotos © Cornelia Hefel
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SOMMER 2020
Alpsennerei Höhi-Voralp
1200 m. über dem Meer
Voralpsee, St. Gallen, Schweiz
Ich stellte mir das so lässig vor. Eine Alpsennerei, ein Käseladen, eine Milchbar. Gegenüber ein Parkplatz, von dem Wanderer zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Gegend hinunter schreiten: zum Voralpsee. Außerdem schreiten sie in unseren Laden. Von morgens bis abends verkaufen wir Käse, Joghurt, Rivella, Kafi Luz, Käsetoast. Wir arbeiten in der Käserei und im Käsekeller. Wir zersprageln uns in diesem Almsommer, der kein Sommer in den Bergen ist, sondern ein Sommer in einem Haus in den Bergen. Die Milch wird täglich von den schönsten Alpen ringsum vorgefahren. Sie ist köstlich, und der Käse auch. Ich lerne das Handwerk des Käsens. Ich höre viele Hörbücher im Käsekeller. Ich bin nicht für 112 Tage Kundengespräche gemacht. Ich habe mir das alles ein bißchen lässiger vorgestellt.
Jeden Morgen und jeden Abend rollt ein Sonnenschein heran. Am Anhänger der Tank mit der sorgsam gewonnen Alpmilch des Tages. Am Lenkrad die Hirtin Isabel. Wir trinken Kaffi und witzeln, es ist schön mit ihr. Ansonsten bin ich für den Rest des Tages eindeutig von zu vielen Männern in zu stark karierten Hemden umgeben.
Einmal lasse ich um 5:20 morgens die Alpsennerei hinter mir und spaziere zum Voralpsee hinunter. Das fühlt sich absurd an, aber es gefällt mir trotzdem. Weiße Schwaden hängen über dem stillen Wasser und die Sonne kratzt über den Kamm. Ich ziehe die Schuhe aus, das Wasser ist schneekalt. Ach.
Der Tag zieht
ins Licht.
Sie schmirgelte so vorsichtig am Leben entlang, dass nur Ahnungen von Spänen flogen. Denn lieber hielt sie den feineren Stoff des Lebens in Händen, der seidig über die Haut glitt, und das Licht war Pastell wenn sie träumte. Und sie träumte so lange bis sie gähnte, und sie eines Morgens im Schwarzteedampf die Lust überfiel, sich doch mal an der Materie zu versuchen. Bis Funken sprühten weil der Draht zwischen ihr und der Welt so glimmend und singend, und angepackt das Leben und die Holzbretter und Käselaibe und Hühenerpopos. Auch dicke Schiefer bohrten sich unter ihre Haut und scharfe Späne flogen um ihr nacktes Herz, doch sie cremte ihre Hände einfach weiter mit Mandeln ein und wollte ihn nicht loslassen, diesen Traum.
Bärbel, Katharina, Karamathschong, Franziska und Gertude sitzen zu jeder Tageszeit gerne am vom Verkehrsverein Grabs gestifteten Bankerl. Sie sind unsere Hühner. Oder soll ich sagen: Hühnerlis?
Fotos © Lia Sáile